Sunday, December 7, 2008

DREI INTERVIEWS

zum meinem Thema „Was ist eine Bausünde?“



Frage SR: Herr Schultze-Naumburg, in Ihrem literarischen Werk Kulturarbeiten sprechen Sie wiederholt davon, dass man sich an bzw. durch Architektur „versündigen“ kann. Was ist Ihrer Meinung nach schlechte Architektur?

Antwort Naumburg: „Nun, dass ein guter Rat an die Bauherren unserer Zeit angebracht ist, zeigt unser allgemein anerkanntes Bauelend überhaupt, dass auf jede Strasse seine Greuel pflanzt. Gelbe Chamottesteine, violetter Schiefer und weisser Putz geben einen geradezu ausgesucht abscheulichen Missklang.

Es ist kaum zu fassen. Nach nur einem Jahr meiner Abwesenheit entwickelte sich diese harmonische Anlage in eine hässliche Larve. Oder ist´s aber etwa ein Monstrum??

Ganz im Gegensatz zu diesem kleinen, wahrhaft schlichten Pavillon ohne fremde Schmuckformen, diesem Bau aus einem Guss, ein Bau, dem sein schöner Zweck klar und rein auf der Stirn geschrieben steht. Vorbildlich ist dieser Ausdruck des Äußeren, der eine wohlanständigen Behaglichkeit, die sich lediglich in den Verhältnissen und Formen, nicht in Zierraten ausdrückt, zeigt.“

[Paul Schultze-Naumburg, deutscher Architekt, †1949]

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Frage SR: Frau Fröbe, kürzlich wurde ein von Ihnen gestalteter Abreiß-Kalender mit 365 Abbildungen von Bausünden publiziert. Was war Ihr Impuls, all diese Bauwerke bildlich festzuhalten? Wie definieren Sie Bausünde?

Antwort Fröbe: „Bausünden – Jeder kennt sie, keiner will sie. Sie stören nahezu überall und machen aus unseren Städten Einheitsbrei. Versenken wir nun Tag für Tag eine architektonische Katastrophe im Papierkorb! Sonntags zeige ich Eigenheime, anonym, an Feiertagen gibt es Kirchen. Die Bildwahl ist subjektiv und hochgradig ungerecht. Grundsätzlich gilt: Bausünden sind in dieser oder ähnlicher Form überall zu finden, ihre Ortsgebundenheit ist rein zufällig! Es ging mir darum, dieses Konvolut städtebauliche Realsatire zu zeigen und die Leute zum sehen zu animieren.

Ich unterscheide in gute und schlechte Bausünden. Gute Bausünden sind solche, die originell sind, die von einem gewissen Mut des Erbauers zeugen, auch wenn er in Farbe, Form und Material danebengegriffen hat. Sie sind fast so schwer zu finden wie gute Architektur. Die schlechten Bausünden sind die, die überall herumstehen, diese belanglose Meterware in Fußgängerzonen und Einkaufszentren, diese gesichtslose Investoren-Architektur.

[Turit Fröbe, Architekturhistorikerin, UdK Berlin, *1971]

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Frage SR: Herr Eix, Sie sind Bürger von Rinteln und Mitglied im dortigen Bürgerverein. Sie haben im Jahr 2007 eine Seite mit dem Titel „Rintelner Bausünden“ ins Internet gestellt. Welche Gebäude sind nun konkrete Bausünden und warum trifft dies zu? [Rinteln – Ein Kleinstädtchen an der Weser, westlich von Hameln]

Antwort F. Eix: „Mit einem aufdringlichen hässlichen Kaufhauskomplex (Woolworth) wurde das südliche Weserufer verschandelt. Anstatt die historischen Baulichkeiten aus dem 18. und 19. Jh. zu modernisieren, wurden sie brutal vernichtet. Nicht besser ist es auf der gegenüberliegenden Seite, wo ein umgebungsblinder Architekt ohne Anpassung an die umgebenden alten Häuser einen kolossalen überfrachteten Betonbau dort hingeklotzt hat.

Ästhetisches Augenmaß, Stilempfinden und historische Rücksichtnahme waren nie die Stärke der Stadtverwalter. Es ist ein unharmonischer Modernismus. Auf Freiflächen am Rande der Stadt sind sie (die modernistischen Gebäude) passend, aber nicht mitten im kleinstädtischen historischen Rahmen der Altstadt. Dort zerstören sie das historische Stadtbild. Wieso konnte ein überfrachteter Gebäudeklotz neben historischen Häusern nicht verhindert werden? Wie kann man einen solch überkandidelten schmalen Glas- und Metallbau unmittelbar an ein historisches Gebäude anklatschen?! - Disharmonischer geht es nicht mehr!

Diese Verunstaltung des historischen Postamts, diese Geschmacklosigkeit der disharmonischen Bauwerke - dieses Unheil. […]“

[F. Eix, Bürger der Kleinstadt Rinteln, Niedersachsen]

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